Café Mitte in Peine: Café bietet mehr als „aber bitte mit Sahne“

Kennen Sie noch diesen Sahneschlager von Udo Jürgens: „Sie treffen sich täglich um viertel nach drei, oh, oh, oh, oh yeah, am Stammtisch im Eck in der Konditorei, oh oh, oh, oh yeah.“ Michaela Schade lacht auf, als wir fragen, ob sich so ein illustres Damenkränzchen wie in dem Lied „Aber bitte mit Sahne“ gelegentlich auch im Café Mitte an Schwarzwälder Kirsch und RhabarberBaiser labt: „Ja doch, solch fröhliche Nachmittagsrunden gibt es hier auch.“

 

 

Als wir an einem Wochentag nachmittags das in der Fußgängerzone von Peines Innenstadt direkt gegenüber der St. Jakobikirche gelegene Café besuchen, lässt sich gut beobachten, was die Serviceleiterin später im Gespräch so ausdrücken wird: „Wir sind ein Café für jeden.“ Eine Café Mitte in Peine: Café bietet mehr als „aber bitte mit Sahne“ Michaela Schade (links) und Martina Stelter vor dem Café Mitte in Peine. © Claudia Taylor Mittfünzigerin hilft ihrer betagten Mutter anrührend behutsam aus der Jacke, draußen wird der erste Aperol Spritz serviert, derweil drinnen eine junge Frau ihr Baby in den Schlaf wiegt. Angesichts der anderen Kleinkinder, die genüsslich im Kakao rühren, kommt einem noch ein Lied in den Sinn, das Ernie einst in der Sesamstraße trällerte: „Hätt‘ ich dich heut‘ erwartet, hätt‘ ich Kuchen da.“

Verkaufsschlager: täglich acht bis zehn Torten

Kuchen hat es nun wahrlich reichlich im Café Mitte. Nicht nur Stammgäste preisen die Nusssahnetorte und die Friesische Pflaumentorte in höchsten Tönen. Saisonal gibt‘s natürlich Erdbeer- und Pflaumenkuchen. So gehen täglich acht bis zehn Torten über den Tresen. Und auch die frisch zubereiteten Waffeln stehen der Kuchenkonkurrenz in nichts nach. Nun gut, in einem Café gibt‘s Frühstücksvariationen der mannigfaltigsten Art, gerühmt wird hier besonders der Kräuterquark, Kleinigkeiten zur Mittagszeit und eben Kuchen. Aber das Café Mitte zeichnet sich doch durch eine Besonderheit aus: Es wird seit 2014 von dem gemeinnützigen Verein FIPS betrieben, der Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband ist. FIPS steht für Förderung und Integration psychisch kranker und von seelischer Behinderung bedrohter Menschen. Zu diesem Zweck hat FIPS ein Netz von Angeboten und Einrichtungen geschaffen, dessen Ziel es ist, den Betroffenen ein Leben mit einem möglichst hohen Maß an Selbstbestimmung zu ermöglichen.

Gastronomie mit inklusiver Beschäftigung

Dazu gehören unter anderem Tagesstätten, Wohngruppen und eben auch das Café, eine Gastronomie mit inklusiver Beschäftigung für seelisch erkrankte Menschen. FIPS sieht es als seine vornehmste Aufgabe, Menschen mit seelischer Behinderung oder psychischer Erkrankung zu unterstützen. Wertschätzung ist der oberste Leitgedanke, Grundlage der Betreuung sind die Bedürfnisse der Klienten.

"Gäste rühmen den Kräuterquark zum Frühstück."

„Wir sind den Weg des Mutes der Normalität gegangen“, erläutert Martina Stelter, Geschäftsführerin bei FIPS, die Vereinskultur. Menschen zur Teilhabe zu befähigen, ihre Eigenständigkeit zu fördern, dies seien Ziele des Förderkonzepts von FIPS.

Und wie geht das im Café Mitte, das mit 32 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in unterschiedlichen Arbeitszeitmodellen in den Bereichen Küche, Theke, Service und Reinigung als Wirtschaftsbetrieb geführt wird? In der Backstube hoch droben in dem Fachwerkhaus werden unter der Anleitung von Hauswirtschafterinnen an sechs Tagen in der Woche von vier bis sechs Menschen mit seelischer Behinderung oder psychischer Erkrankung die Torten und Kuchen gebacken. Gebacken wird nach den streng gehüteten Geheimnissen „unserer Backfeen“. Die Kekse, die zum Cappuccino auf dem Tellerrand gereicht werden, werden in Lehrte gebacken und von den Klienten nach Peine gebracht.

Kuchen backen hebt das Selbstvertrauen

200 Menschen wird so eine Beschäftigung eine Alltagsstruktur ermöglicht. „Das ist aktive Teilhabe, dieses Café ist ein unglaublich wichtiger Ort“, ergänzt Martina Stelter. Man kann sich gut vorstellen, dass so ein fulminant anzusehender gebackener Käsekuchen das Selbstvertrauen der Klienten aufbaut, und sie mit stolz erfüllt.

Michaela Schade, die durch und durch gelernte Gastrofachfrau ist, verkauft hier, „in meinem Wohnzimmer“, mehr als Kaffee und Kuchen. Sie stehe, so ­Martina Stelter, für ein Menschenbild, das geprägt ist von Wertschätzung und keine Scheu kennt vor unterschiedlichen Menschen. Und so ist das Café ein beinahe heimatlicher Wohlfühlort für Bewohner und Mitarbeiter des benachbarten Altenheims ebenso wie für Mittagspausler der Sparkasse, Schüler, Studenten. Jedermann und jederfrau.
Ohne Michaela Schades vorurteilsfreie Sicht auf das Leben und seine mannigfaltigen Verästelungen wäre es wohl auch nicht möglich, dass junge Menschen, die als Schulverweigerer oder Coronaregelbrecher auffällig geworden sind, hier ihre Sozialstunden ableisten können. Derzeit hat die Jugendgerichtshilfe vier Jugendliche in die Obhut von Schade gegeben.

 

Sozialstunden in der Spülküche

Sie leisten ihre 100 „Strafstunden“ dann in der Spülküche oder als Schnippelhilfe ab. Wenn einer allerdings das dritte Mal zu spät zum Dienst kommt, „dann muss man schon am Ball bleiben“, sagt Schade diplomatisch. Schließlich müssen die Jugendlichen lernen verlässlich zu sein, Struktur in ihr Leben zu kriegen. Wenn sie das so erzählt, merkt man: Sie lässt so schnell keinen fallen.
Das Café verfügt drinnen über 60 Sitzplätze, draußen vor dem alten Fachwerkgebäude kommen noch mal 70 hinzu. Der Kaffee kommt von einem regionalen Röster, die Eier haben Bioqualität, betriebsnahe Versorgung ist Geschäftsprinzip. Große Kristallkronleuchter sorgen für klassisches Kaffeehausambiente, der opulente Kuchentresen ist am Eingang ein appetitanregender Hingucker. Blickfang an den Wänden sind wechselnde Ausstellungen. Von FIPS-Klienten und anderen. Auch hier gilt: Jeder kann hier fragen, ob es ein Zeitfenster gibt, die eigene  Kunst zu zeigen.
suja