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Hin & Weg Flohmarktladen hat jetzt 1111 Kunden

Es gibt die verschiedensten Gründe, warum jemand etwas auf einem Flohmarkt anbietet. Die Ergebnisse der eigenen Handwerksarbeit sprengen die Abstellkammer, nicht benötigte Geschenke sind zu schön zum Wegwerfen oder aussortierter Schmuck staubt ein. Allen Trödlern gemeinsam ist, dass sie davon ausgehen, dass jemand anderes Verwendung für ihre Kleinode hat.

Seit Oktober 2008 gibt es mit Hin und Weg einen Flohmarktladen in Peine. Vermietet werden dort insgesamt 73 Regalbretter, Vitrinenfächer, Wand- und Fensterregale, die dann individuell bestückt werden. Und jetzt hat der 1111. Kunde sein Fensterregal eingerichtet. „Der Gemüseschneider muss endlich einen neuen Besitzer finden“, war beim Einräumen zu hören.

Die vermittelnden Verkäuferinnen und Verkäufer, die sich in einer arbeitstherapeutischen Maßnahme einer Tagesstätte befinden, bemühen sich mit Einfühlungsvermögen und Engagement darum, dass jeder Mieter und jeder Kunde zu seinem Recht kommt. Vor Verkauf werden elektrische Geräte möglichst ausprobiert, nicht funktionsfähige dürfen nicht verkauft werden. Die häufigste Frage, ob der Preis verhandelbar ist, muss dabei verneint werden, da die Mieter vorweg einen Betrag festlegen, den sie dann auch komplett ausgezahlt bekommen. Sie entscheiden auch alleine, was wie in ihren Regalen landet. In der Anfangszeit des Ladens hat das zu kuriosen Auf- und Anbauten der Mieter geführt, die möglichst viel Platz für ihre Waren schaffen wollten.

Zufrieden mit ihren Trödlern zeigt sich Ute Vogelsang, Leiterin der Tagesstätte der FIPS GmbH zur Förderung und Integration psychisch kranker Menschen. „Das Programm in den Regalen ist immer abwechslungsreich.“ Alle paar Wochen hat sich das Angebot meistens fast ganz erneuert, da die Regale für eine bis sechs Wochen vermietet werden.

Gleichzeitig mieten sich einige Stammkunden bereits über das Jahr in wechselnde Fächer ein, tauschen aber auch immer wieder Waren aus. So findet man stets eine bunte Auswahl. Zum Verkauf stehen aktuell unter anderem Kinderkleidung, Dekoartikel, Fotoalben, Spiele, Spielfilm-DVDs, Musik-CDs, Glühbirnen, ein Paar Inline-Skates, ein Kaffeeservice, Modellautos, Holzschalen, ein Handstaubsauger, Vasen, Uhren, ein Paar Fußballschuhe, Taschen und zwei Radios. „Man findet bei uns fast alles und immer auch ein ausgesuchtes Buch.“ ist Ute Vogelsang überzeugt.

Bei der Menge an Regalen ist für die Mitarbeiter die Koordination der Verkaufsfläche die anspruchsvollste Aufgabe und kann nur mit einem speziellen Computerprogramm gemanagt werden. In ihm wird auch jeder Verkauf notiert und den Mietern zugeordnet.

Für die Mitarbeiter ist die Arbeit eine gute Übung am Computer, aber auch mit Menschen umzugehen. Im Umgang mit „schwierigen und leichten Kunden“ sieht Wenke Möhring die größte Herausforderung, wobei für sie die Mischung entscheidend ist. Bianca Priebe ergänzt, dass allgemein die Arbeit mit Kunden „Spaß macht“.

Allen Beschäftigten ist die Selbstständigkeit, in der sie wirken, wichtig. Ohne Therapeuten oder Betreuer den Ablauf im Laden zu organisieren, ist der selbstgesteckte Anspruch und wird mit wöchentlichen Sitzungen, in denen kommende und vergangene Geschehnisse besprochen werden, sichergestellt. Neben dem Umgang mit Kunden und Mietern wird also auch die Kollegialität der Mitarbeiter, die immer zu zweit arbeiten, geschult.

Coronabedingt musste der Laden und die Tagesstätte zweieinhalb Monate schließen. Die bereits gemieteten Regale wurden storniert. Viele der Mieter haben ihre Rückerstattungen allerdings gespendet. Die Sorge der Mitarbeiter, ob die Mieter bleiben würden, hat sich als unbegründet erwiesen. Beliebte Regale sind weiterhin über Monate ausgebucht.

In der Schließungszeit hat sich Bianca Priebe „ohne Kollegen und Laden definitiv gelangweilt“. Bestätigt hat sich mit Corona, was ein Kollege, der nicht genannt werden möchte, besonders an der Arbeit schätzt. Sie sei „super für Leute, die schon eine Zeit lang arbeitslos sind, um Tagesstruktur zu bekommen“. Neben der sozialen ist die strukturgebende Funktion derzeit Kern des arbeitstherapeutischen Konzepts. Weitere Gruppen, die sonst in der Tagesstätte stattgefunden haben, können für die Mitarbeiter im Laden, um Kontakte gering zu halten, nicht stattfinden. Einige Mitarbeiter haben sich trotzdem schon in der Zeit der strikten Kontaktverbote für den Laden angemeldet. „Er ist schließlich das Beste, was FIPS zu bieten hat“, wie Holger Hansen festhält.

Der 1111. Trödler kommt übrigens aus Celle, was für die Attraktivität dieses landesweit einzigartigen Peiner Geschäfts und diese besondere arbeitstherapeutische Maßnahme spricht.

 

Autor: Jörn Sander im Juli 2020